Dorothea Greve

Jiddisch in Hamburg

Dorothea "Doro" Greve

Unserer inspirierenden Jiddisch-Lehrerin und Birnbaum-Protagonistin Dorothea Greve zum Andenken

Dorothea Greve.

Am Samstagmorgen, den 14. Mai, ist die leidenschaftliche Liebhaberin und engagierte Lehrerin der jiddischen Sprache, Dorothea Greve, von uns gegangen. Sie ist im Alter von 61 Jahren gestorben und nicht nur ihre Verwandten und Freunde, sondern auch die gesamte jiddische Welt hätten ihr gern ein längeres Leben für ihr kreatives Schaffen gewünscht, denn mit Dorothea verlieren wir eine außergewöhnliche Aktivistin und Kennerin auf dem Gebiet der jiddischen Sprache und Kultur.

Sie war sowohl eine herausragende Dozentin, Sängerin und Übersetzerin jiddischer Literatur als auch ein Mensch mit einer außerordentlichen Strahlkraft, die Freunden und Kollegen in der ganzen Welt eng verbunden war.

Dorothea wuchs in einer christlichen Familie in Bremen auf. Ihre Liebe für das Jiddische entdeckte sie durch die Musik. Als Studentin hörte sie eines Tages im Radio eine Sendung mit jiddischen Liedern von Tova Ben-Zvi. Damals wusste sie selbstverständlich noch nicht, dass sie der israelischen Sängerin einmal persönlich begegnen würde und sie sich anfreunden würden. Denn der Zufall wollte es, dass Tova Ben-Zvi Jahre später im Publikum im Leyvik-Haus in Tel Aviv saß, als Dorothea dort erzählte, wie sie zum Jiddischen gekommen sei. In den Liedern von Tova Ben-Zvi erspürte sie schon als junges Mädchen das Besondere der jiddischen Sprache und fing an, sich intensiv mit ihr auseinanderzusetzen. Zunächst studierte sie Jiddisch in Stuttgart und Hamburg, später dann in Oxford und bei Mordkhe Schaechter an der New Yorker Columbia-Universität.

Als Jiddischlehrerin verstand Dorothea es meisterhaft, jedem ihrer Schüler Interesse, wenn nicht Begeisterung für die jiddische Sprache zu vermitteln. Sie besaß die seltene pädagogische Gabe, ihre Veranstaltungen lebendig und kreativ zu gestalten und stets durch ihren umfänglichen Wissensschatz zu bereichern.

Mehr als dreißig Jahre hat sie jiddische Sprache und Literatur sowohl an der Universität als auch an der Volkshochschule in Hamburg gelehrt. Darüber hinaus gab sie Kurse an der Urbino-Universität in Italien, am „Oxford Centre for Yiddish Studies“ und beim „Yiddish Summer Weimar“.

Dorothea war eines der Gründungsmitglieder der „Salomo-Birnbaum-Gesellschaft für Jiddisch e.V.“ in Hamburg, deren Vorsitzende sie über viele Jahre lang gewesen ist.

Neben ihrer Lehrtätigkeit war sie auch eine außergewöhnliche Musikerin und Sängerin. Seit den 80er Jahren hat sie in der Gruppe „Freylekhs“ gesungen, einer der ersten Klezmer-Gruppen in Hamburg. Darüber hinaus trat sie international mit dem Ensemble „Karahod“ auf und gab eine Reihe von Konzerten mit ihren Freunden von „The Yiddish Vocalists“ in Deutschland.

Oft arbeitete sie in Projekten mit Sängern und Schauspielern zusammen und feilte an deren jiddischer Aussprache. Dorothea scheute weder Zeit noch Mühe, wenn jemand sie in einer Frage hinsichtlich des Jiddischen um Unterstützung bat.

In der ganzen Welt stand Dorothea in Kontakt mit jiddischen Schriftstellern und Kulturschaffenden. Sie hat mit Yoysef Burg, mit Alexander Lisen und Yekhiel Shraybman korrespondiert und sich für deren Schaffen und Übertragung ihrer jiddischen Texte ins Deutsche engagiert. Sie übersetzte das auf jiddisch verfasste Tagebuch der in Vilnius geborenen Schriftstellerin Mascha Rolnikaitė und besuchte diese wiederholt in St. Petersburg. Außerdem unterhielt sie regen Austausch mit dem Schriftsteller Mishe Lev, den sie, wann immer sie in Rehovot in Israel war, besuchte. Aus den Begegnungen und Gesprächen mit Jiddisch-Kulturschaffenden in Israel ist 2010 gar ein Dokumentarfilm entstanden.

Jahre lang arbeitete Dorothea außerdem an einer Einführung in die jiddische Sprache für deutschsprachige Lerner. Die Frucht dieser Arbeit stellt der 2013 erschienene Band „Der yidisher alef-beys trit bay trit“ dar.

Bis zum Ende hat Dorothea mutig gegen ihre Erkrankung gekämpft und die jiddische Sprache gehütet wie ihr eigenes Kind.

Von uns geht nun unsere geliebte Freundin und geschätzte Jiddisch-Lehrerin, Dorothea: ein Mensch, der alle in Begeisterung versetzen konnte, und eine unermüdliche Aktivistin jiddischer Kultur. Für uns – und für viele andere Menschen nicht nur in Deutschland – hinterlässt ihr Tod eine schmerzhafte Lücke.

Koved ir ondenk!

Der jiddische Text von Annika Hillmann ist in leicht abgeänderter Version am 16.05.2016 auf der Webseite des Forverts erschienen.

(aus dem Jiddischen von Marcel Seidel)